Vom kapitalen Wettrüsten zum revolutionären Entscheid. - Monte Tamaro - Natur und Abenteur im Kanton Tessin
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Vom kapitalen Wettrüsten zum revolutionären Entscheid.

Wie zwei Jahreszeiten um die Vorherrschaft am Monte Tamaro kämpfen.

Angeblich soll ein Bild mehr als tausend Worte sagen. Das wird wohl so stimmen. Zumindest in den meisten Fällen. Doch ohne Worte geht’s hier schlicht nicht. Die Verwirrung ist zu gross. Sommer und Winter kollidieren in einem Bild – und zwar in einem kleinen Skandal. Die Verantwortlichen der Monte Tamaro müssen sich bestimmt mehr als tausend Worte dafür anhören lassen. Und auch nicht so ganz erfreuliche. Wie wir uns denken können.

Denn seien wir doch ehrlich. Das entbehrt jeder Gesetzmässigkeit. So eingeschlagene Skier können doch keine Hängematte halten. Nein. Das geht nun wirklich nicht. Die Schwerkraft wirkt ja auch noch irgendwo mit. Die ganze Konstruktion würde in sich zusammenbrechen, ganz klar. Da werden wir schlicht veräppelt. Doch das ist nicht alles. Kaum vorstellbar, aber es wird tatsächlich noch skandalöser. Fokussieren wir uns auf die Mitte des Bildes. Genau. Richtig gesehen. Da wirbt kurzerhand mal ein ziemlich freizügiges Model auf eben dieser Hängematte für den Winter am Monte Tamaro. Ok. Bei allem Respekt. Wir wissen nicht genau, was die sogenannte «Message» ist. Vielleicht wirbt das Model zugleich auch für den Sommer. Das «Outfit» würde zumindest für diese Theorie sprechen. Zwei Fliegen mit einer Klatsche könnten wir meinen. Keine Ahnung. Eines ist aber klar: Die Reaktionen darauf sind gewaltig.

Heute bräuchten wir dafür natürlich einen englischen Ausdruck: Shitstorm. Den ersten am Monte Tamaro. Die Bilder dieser Serie werden zum Skandalprospekt. Ein paar Stossgebete gegen Himmel später werden Hassbriefe verfasst und Drohungen ausgesprochen. Gäste meiden ab sofort die Kabinenbahn in Rivera. Aber eben: Eine erfolgreiche Marketingkampagne soll bekanntlich auffallen. Dann sagen wir mal: Ziel – ohne Rücksicht auf Verluste – erreicht. Und das mit vollem Körpereinsatz.

Trotzdem, einfach zur Klarstellung: Auch in den 80er Jahren sind wir rund um die Alpe Foppa mit schönen bunten Anzügen Ski gefahren – so leichtbekleidet den Hang runterzubrettern, wäre dann doch eher unangenehm. Also das denken wir zumindest. Nicht, dass das jemand von uns jemals gemacht hätte. Oh Gott, nein.

Ah, und übrigens: Die physikalischen Gesetzmässigkeiten gelten auch am Monte Tamaro. Wenn wir genau hinschauen, sehen wir hinter den Skiern die eingeschlagenen Pfosten. Und es versteht sich natürlich von selbst, dass der damalige Direktor der Monte Tamaro das berüchtigte Foto geschossen hat.
Aber um das geht es uns eigentlich nicht. Kommen wir zu unserem eigentlichen Thema. Eines zeigt das «Skandalprospekt» sehr schön: Die Dualität von Sommer und Winter, welche die Entwicklung der Kabinenbahn stets mitgeprägt hat. Diese beiden Jahreszeiten kämpfen seit Jahren um die Vorherrschaft.

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-mal mehr Umsatz macht die Monte Tamaro im Januar 1973 als im Juni desselben Jahres. Ein Jahr später generiert der Januar gegenüber dem Juni sogar das Sechsfache.

Wann wird’s endlich wieder Sommer? Ein ebenbürtiger Wettstreit ist es am Anfang jedoch nicht. Alles fährt Ski. Der heimische Winter ist Trumpf. An Rekordsonntagen wie im Januar 1976 kommt die Bahn sogar an den Anschlag. Die Kapazitäten sind erschöpft. Der Sommer hingegen trabt hinterher. Schön gemütlich. Das Ausland ist in dieser Jahreszeit bei den Einheimischen schlicht zu beliebt. Da haben wir nun mal vorerst das Nachsehen. Und dann wäre da ja noch das Wetter. Rudi Carell singt 1975 sogar, wann es endlich wieder Sommer wird. Angeblich sei es im Sommer hierzulande so kühl wie in Sibirien. Na ja, das lassen wir mal so stehen. Das Monieren über besagtes Thema ist ja fest in unserer Gesellschaft verankert. Die zahlreichen Wettergötter können es uns einfach nicht recht machen – weder Thor noch Zeus, ja geschweige denn Petrus. Und wenn sich der Sonnengott Ra zu viel zeigt, ist das auch nicht gut. Sie haben die Quadratur des Kreises bei ihrer Arbeit vor sich. Arme Kerle.

Es ist dann nicht ein Kerl, sondern eine Frau, die es im Jahr 1977 mit ihrer Arbeit so richtig übertreibt. Wer weiss, vielleicht hat sie einfach genug von der ständigen Nörgelei. Wie dem auch sei. Frau Holle lässt es am Monte Tamaro schneien. Und zwar so richtig. Drei Meter Schnee häuft sie am Berg an. Eine beachtliche Menge. Alles ist geschlossen. Das ist auch gut so. Nur ein halbes Dutzend Mitarbeiter kneipt gemütlich barfuss durch den Schnee in Richtung Restaurant. Ähm, wie bitte? Barfuss? Ja genau. Ok, wir müssen vielleicht ergänzen, dass sie ursprünglich mit einem Pistenfahrzeug und mit Schuhen unterwegs waren. Da hatte sich aber noch keine Lawine gelöst und ihr Fahrzeug mit in die Tiefe gerissen. 300 Meter weiter unten wurde es geparkt. Schön auf dem Kopf. Alle Insassen konnten abspringen und sich retten. Einige verloren dabei ihre Schuhe. Und nur die Schuhe. Die Kleider konnten sie behalten. Eine Hängematte gab es auch nicht. Denn dieses Mal ist es purer Ernst. Glück im Unglück. Der Winter hat zugeschlagen.

Abhängig: Das Wetter dirigiert, die Monte Tamaro orchestriert.

Propaganda für den Sommer. Investitionen in den Winter.

Der Winter scheint meilenweit im Wettkampf voraus zu sein. Unerreichbar könnten wir meinen. Doch dann passiert es. Im Jahr 1980. Der Winter bleibt im Sommerschlaf gefangen. Weg ist er. Zumindest für eine Saison. Die Anlagen bleiben geschlossen. Frau Holle macht Pause. Der Sommer grinst auf den Stockzähnen.
Doch die Schadenfreude ist nur von kurzer Dauer. Denn ein Jahr später ist er aus dem Schlaf erwacht. Doch die Unsicherheit ist gross. Skisportbegeisterte könnten abgesprungen sein und in der Zwischenzeit ein anderes Gebiet liebgewonnen haben. Doch dem ist nicht so. Das Gebiet überzeugt und die Gäste bleiben treu.

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Gäste besuchen im Winter 1981 den Monte Tamaro. Der Sommer folgt mit 16 831 Gästen stabil, doch weit abgeschlagen.

Kein Vertrauen in Frau Holle. Die folgenden Jahre sind geprägt von Schneemangel. Immer wieder verfällt der Winter in einen Tiefschlaf. Er ist angeschlagen, doch immer noch weit voraus. Lösungen müssen her. Spontan kommt uns Elsa aus Arendelle in den Sinn. Besser bekannt als die Eiskönigin aus «Frozen». Die würde im Nu die Alpe Foppa mit Eis und Schnee bedecken. Und sicherlich noch einen Schneemann bauen. Doch das würde wahrscheinlich die Umweltschützer auf den Plan rufen – und dies zu Recht. Sei’s drum: Elsa ist und bleibt eine fiktive Figur. Alternativen müssen her. Ein Blick zur Konkurrenz auf der Nordseite der Alpen ist ratsam. Und was machen die? Ganz einfach: Künstlichen Schnee. Nicht aus dem Reagenzglas, sondern aus Schneekanonen.

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Million Franken Investitionskosten müssen pro beschneitem Kilometer Piste investiert werden. So besagt es die Faustregel für den Einsatz von Schneekanonen. Die Betriebskosten natürlich ausgenommen.

Der Spiessrutenlauf beginnt. Keine Diskussion. Solche Schneekanonen müssen auch für den Monte Tamaro her. Die Lösung aller Probleme. Doch die Gleichung ist einfach: Um Schnee zu produzieren, braucht es Wasser. Und Wasser gibt es jetzt in dieser Region nicht unbedingt im Überfluss. Also werden Pläne geschmiedet, das Wasser entweder direkt von Rivera hochzupumpen oder einen grossen See bei der Mittelstation und einen kleinen Teich oben im Skigebiet zu installieren. Studien werden finanziert und Projekte eingereicht. Alles in Eigenregie. Der Zaster fliesst. Doch die Antwort vom Kanton bleibt bis anhin immer dieselbe: Die Region ist eine Sonnenstube und nicht eine Schneestube. Mit anderen Worten: Antrag abgelehnt. Die Verhandlungen werden noch ein Weilchen andauern. Davon können wir ausgehen. Dann wenden wir uns doch in der Zwischenzeit lieber wieder dem Sommer zu.

 

Letzte Chance für den Sommer.

Der Zweikampf geht in die entscheidende Phase.

Die Frequenzen müssen im Sommer erhöht werden. Keine Frage. Ansonsten wird in der warmen Jahreszeit dicht gemacht. Und zwar endgültig. Die Verantwortlichen stehen hinter dem angeschlagenen Winter. Nicht ganz fair gegenüber gegen über dem Konkurrenten. Der steht auf der Kippe, obwohl er weniger kostet und wetterunabhängiger ist. Als letzter Versuch wird im Mai 1985 eine neue Stelle geschaffen, die eigens darauf ausgerichtet ist, den Sommer zu propagieren und zu vermarkten.

 

So einfach gibt er sich nicht geschlagen. Am 15. Juni 1985 wird die Bronzestatue der «Madonna con Bambino» des Bildhauers Antonio Danzi unweit des Restaurants auf der Alpe Foppa installiert. Papst Johanes Paul II hat diese Statue während seines Besuches in Lugano gesegnet. Ob sie den Sommer am Monte Tamaro noch retten kann?

 

In den nächsten zwei Jahren sieht es definitiv nicht danach aus. Der Winter demonstriert eindrücklich sein Comeback und verhilft der Monte Tamaro in der Saison 1987/88 zu einem Rekordjahr. Zum ersten Mal in der Geschichte des Familienunternehmens ist es gelungen, mehr als 100 000 Gäste auf die Alpe Foppa zu befördern. Genauer gesagt: 100 300 Gäste. Knapp, aber die Marke ist geknackt. Gratulation. Der Winter legt dabei 68% zum Vorjahr zu, der Sommer hingegen verliert 10%. Ok. Drama pur. Jetzt wird’s eng.

 

Aber eben. Sieg und Niederlage geben sich bekanntlich die Hand. Es wird wieder vermehrt deutlich, dass die Kabinenbahn in Rivera doch in einer Sonnenstube liegt – und nicht in einer Schneestube. Denn nur ein Jahr nach dem Rekordjahr kann der Winter erst Ende Februar lanciert werden. Die Realität ist zurück. Die Zahlen sind im Keller. Und so ist es passiert: Der Sommer generiert mehr Gäste als der Winter. Klar, nur ein Bruchteil mehr. Trotzdem geht diese Runde an ihn.

 

Potential für den Sommer wird im Winter erkannt. Ungeachtet des absoluten Schneemangels in der Saison 1988/89 sind das Restaurant und die Kabinenbahn an Wochenenden und Feiertage offen. Wohl verstanden: Skifahren können wir nicht. Trotzdem, eine neue Gästegruppe kommt auf den Berg: Wir reden hier von der Sommerkundschaft. Sprich Wanderer, Sonnenanbeter, Paraglider und Radfahrer. Im Umkehrschluss bedeutet das also, dass im Winter nun Sommeraktivitäten ausgeübt werden. Verdrehte Welt. Mit dem Resultat, dass die Qualitäten des Sommers erkannt und in die Werbung eingebaut werden. Gepaart mit der Unterstützung der Wettergötter steigen die Zahlen in der Sommersaison auf 40 000 Gästefrequenzen. Klar, der Winter ist noch voraus. Doch die Luft wird dünner. Der psychologische Vorteil liegt nun definitiv beim Underdog.

 

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Wir sind jetzt davon überzeugt, dass die Sommerzeit für unser Unternehmen eine grosse Chance darstellt.

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(Egidio Cattaneo, Gründer der Monte Tamaro SA, über den Sommer, Oktober 1989)

In den Köpfen der Verantwortlichen ist etwas passiert. Vielleicht noch nicht bewusst. Doch unbewusst ist der Sieger des Wettstreits schon klar. Es braucht einfach noch ein Jahrzehnt, bis der Mut zu diesem revolutionären Entscheid gefasst werden kann.

 

Kampf um das weisse Gold.

Das grosse Wettrüsten beginnt.

Ein bekannter Ohrwurm verstummt. Der Regisseur des kurzen TV-Spots, der gerade am Monte Tamaro gedreht wird, kann das nur bestätigen. Zumindest, was sein Model betrifft. Es sollte eigentlich nur einen Hang runterfahren und den kurzen Slogan aufsagen. Et voila. Das wäre schon alles. Doch jetzt sei angeblich die Piste zu steil und es habe noch Unmengen von Neuschnee drauf. So könne man nicht Skifahren. Echt jetzt? Die Geduld aller Beteiligten ist am Ende. Jemand muss nun den Kopf dafür hinhalten – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Luca Cattaneo, der spätere CEO der Bahn, steht bereit, Kopf und Kragen zu riskieren. Ok. Vielleicht haben wir ein bisschen überdramatisiert. Kurzerhand wird ihm eine blonde Perücke auf den Kopf gesetzt und schon sieht er sich den Hang runterkurven. Gekonnt und stilsicher. Und das noch im Neuschnee. Schnitt. Reinzoomen und da haben wir wieder das «echte» Model, das unten am Hang gewartet hat. Text aufsagen und der Spot ist im Kasten. Niemand hat irgendetwas gemerkt. Und die Moral von der Geschichte: «Alles fährt Ski» war gestern.

Wettrüsten bis zum Bankrott. Das Tessin hat weder genügend Wintergäste noch ausreichend Schnee. Der Winter wird also teuer. Sehr teuer. Und der Schnee zum weissen Gold. Doch auch die millionenschweren Finanzspritzen für die Bergbahnen fruchten nicht wirklich. Der Erfolg bleibt aus. Das persönliche Engagement vergebens. Der Sonnengott beherrscht das Gebiet. Ein Umdenken findet nicht statt. Vielmehr liefern die Skigebiete in ihrem Überlebenskampf ein Wettrüsten, welches teils grosszügig subventioniert ist. Viele Bahnen haben trotzdem kaum eine Chance und kämpfen gegen ihren Ruin an. Dennoch: Alle halten am Winter fest. Obwohl er wiederholt angezählt wird. So auch die Monte Tamaro. Der Sommer ist sprachlos.

Mitte der 90er Jahre kommt auf die Monte Tamaro SA eine riesige Investition zu. Genau jetzt in dieser schwierigen Zeit. Zwei Monate ist der Betrieb unterbrochen. Danach geht’s wieder weiter. Und zwar mit neuen Gondeln. Ebenso zaubert Mario Botta kurzerhand eine Kapelle hin. Sechs Millionen Franken wird mal eben investiert. Eine Investition in die Zukunft, aber auch in den Winter?

 

Das hängt so ziemlich vom künstlichen Schnee ab. Stimmt, da war noch was. Die Geschichte mit den Schneekanonen. Mittlerweile ist viel diskutiert und eingesprochen worden. Das Bundesgericht in Lausanne weist im Dezember 1994 kurzerhand eine Beschwerde der Monte Tamaro ab. Die Bahn hat gegen den Entscheid des Tessiner Verwaltungsgerichts protestiert. Das zerrt an der Substanz. Echt jetzt. Grund für die Beschwerde war die Klage der Tessiner Gesellschaft für Kunst und Natur und der Tessiner Sektionen des WWFs und des Alpen-Clubs gegen das Projekt der Bahn, 15 Kilometer Piste zu beschneien. Dann warten wir halt noch. Die Verhandlungen gehen weiter.

 

Winter am Monte Tamaro: Quo vadis?

Eine rosige Zukunft sieht anders aus.

Und da der Winter seine Niederlage nicht akzeptieren will, werden dem Personal vorsorglich die Kündigungen zugeschickt. Eine schwierige Zeit, in der nur mit Mühe die fest verankerte Philosophie des Familienunternehmens aufrechterhalten werden kann. Denn es hat wiederholt keinen Schnee – und ohne Schnee gibt es nun mal auch keine Arbeit. Hinzu kommt der steigende Wettbewerb von ausserhalb des Kantons. Die zweistündige Fahrt auf die Nordseite wird immer attraktiver. Ebenso ändert sich das traditionelle Modell der Tagesausfahrten zugunsten eines längeren Aufenthalts an Skiorten, die besser ausgerüstet sind. Die Tagesgäste waren bis anhin eine wichtige Stütze für den Winter. Das System bröckelt. Dem aber nicht genug. Kurz nach Eintritt ins neue Jahrtausend kommt eine neue Frist hinzu: Die vollständige Revision der Skilifte. Eine gewaltige Investition mit ungewissen Erfolgsaussichten.

Da könnten wir doch glatt von Murphys Gesetz sprechen. Aber nein, nicht hier. Nicht alles, was schiefgehen kann, wird nun auch schiefgehen. Vielmehr gibt all das den Verantwortlichen den nötigen Anstoss für einen revolutionären Entscheid, der die Monte Tamaro zum Pionier und Vorbild für viele andere Bergbahnen macht.

 

Konsequent: Die wahre Ausrichtung am Monte Tamaro.

Die Befreiung aus der Abhängigkeit von Frau Holle.

Wann wird’s endlich wieder Winter? Vor drei Jahrzehnten haben wir uns über den fehlenden Sommer beklagt. Jetzt ist er da. Und wir machen das, was wir am besten können. Wir nörgeln über das Wetter und trauern dem Winter nach. So sind wir nun mal. Da hat sich nichts geändert. Aber hey, kein Problem. Die Genehmigung für die Beschneiungsanlage ist ja jetzt da. Ohne Witz. Endlich. Nach so vielen Jahren. Es kann also wieder Winter «gemacht» werden. Einigermassen unabhängig von Frau Holle. Doch nicht mehr am Monte Tamaro. Das Wettrüsten wird abgebrochen. Richtig gelesen. Es ist vorbei. Das Finanzloch ist zu gross. Das Budget dahingeschmolzen. Das Familienunternehmen teilt der Versammlung im Oktober 2003 die Entscheidung mit, auf die Wintersaison zu verzichten. Was für ein Paukenschlag.

 

Derselbe Mut wie bei den Anfängen. Genau 30 Jahre sind seit der Eröffnung der ersten Wintersaison vergangen. 30 Jahre lang tobte ein Kampf um die Vorherrschaft der Jahreszeiten. Das ursprüngliche Logo von 1972 zeigt diese Dualität schön auf. Das Bedürfnis nach Wintersport war in den 70er Jahren stark vorhanden. Doch seither hat sich vieles geändert. Jetzt macht dies keinen Sinn mehr. Das Bekenntnis zur Sonnenstube und der Natur ist da. Klar doch, das sind wir uns bewusst, Nachhaltigkeit ist ein inflationär gebrauchter Begriff, trotzdem: Wir haben gelernt, mit der Natur nachhaltig am Berg umzugehen. Und für das soll auch zukünftig das Familienunternehmen stehen.

 

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Ich liebte meinen Job im Winter. Es brauchte viele Jahre, um aus dem Rhythmus wieder rauszukommen. Denn immer, wenn es schneite, wollte ich unbewusst raus, um die Pisten zu präparieren. Das war in mir drin.  Somit fehlte etwas am Anfang. Geschweige denn all die zahlreichen Events sowie die glücklichen Kinder, die auf der Alpe Foppa Skifahren lernen konnten.

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(Luca Cattaneo, Präsident der Monte Tamaro SA, über den Entscheid, 2022)

Das Jahr 2005 gilt als «anno zero». Und das unglaubliche zwei Jahre nach dem Entscheid, eine Sommerdestination zu werden. In diesem Jahr verzeichnet die Monte Tamaro einen Anstieg der Gästefrequenzen im Vergleich zur Vorsaison um 36%. Jährlich pendeln sich die Frequenzen bei knapp 110 000 Gästen ein. Beeindruckende Zahlen. Im selben Jahr werden ausserdem alle Schulden des Unternehmens gestrichen. Der Winter ist nun definitiv verarbeitet und vergessen. Gleichzeitig wird einem Investitionsplan von über zwei Millionen zur Umsetzung der Sommerinitiativen grünes Licht gegeben. Das Resultat daraus kennen wir alle – so ist das Gebiet am Monte Tamaro zu dem geworden, was es heute ist.

 

Das Tamaro-Modell überzeugt mit beinharter Konsequenz. Denn es werden keine halben Sachen gemacht. Und nur so funktioniert es. Eine Vorreiterrolle wird eingenommen. Bald wird das Modell zum Paradigma. So wundern wir uns auch nicht über die Nomination für den Milestone-Award im Jahr 2006. Mit anderen Worten gehört das Tessiner Projekt zu den 15 besten auf nationaler Ebene.

 

Rodelbahn statt Skipiste. Ergo lautet auch die Antwort auf die einleitende Frage: Nie wieder wird es Winter. Zumindest am Monte Tamaro. Die Skilifte werden abgebaut. Der Winter ist nun definitiv ausgezählt. Das Handtuch wurde geworfen. Der Sommer hat gewonnen – und mit ihm zweifelsohne das Familienunternehmen aus Rivera.